VIVIAN MAIER: Kameras
- derblogderdinge
- 26. Okt. 2016
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Dez. 2020

RPN Auctions, Chicago, 2007: Eine Mieterin von fünf Lagerschränken hatte ihre Rechnungen nicht mehr beglichen und deren Inhalt wurde meistbietend per Los verkauft. Neben Kleidung und Büchern enthielten sie auch Fotos und Filmmaterial. Der Immobilienmakler John Maloof suchte zu dieser Zeit historische Fotos und war einer der spontanen, nichts ahnenden Käufer. Doch bei der Durchsicht erkannte er, dass in den Kisten das Werk einer außergewöhnlichen Fotografin schlummerte.
Maloof versuchte erfolglos, mehr über die rätselhafte Person herauszufinden. Schließlich fand er im April 2009 eine Todesanzeige in der Zeitung -- Vivian Maier war wenige Tage zuvor verstorben, die Todesanzeige war von den Verfassern für ihr ehemaliges Kindermädchen aufgegeben worden.
Maloof kaufte in der Folgezeit neben vielen persönlichen Gegenständen Vivian Maiers rund 100.000 Negative, 2.000 nicht entwickelte Schwarz-Weiß-Filme und 700 nicht entwickelte Farbfilme. Er brauchte Geld, um das Entwickeln und Archivieren zu finanzieren -- doch Museen und Galerien zeigten kein Interesse. Er fing an, die vorhandenen Bilder online zu stellen und stieß auf eine gewaltige positive Resonanz. 2010 konnte dann schon die erste Ausstellung stattfinden. Inzwischen wurden sämtliche Schwarz-Weiß-Filme entwickelt, die Farbfilme warten noch in einem Kühlschrank darauf.
Vivian Maier war eine manische Fotografin. Sie fotografierte in solchen Mengen, dass sie nur einen Bruchteil ihrer Filme entwickeln konnte. Es scheint, als wäre der Akt des Fotografierens wichtiger für sie gewesen, als das Betrachten der Bilder. Auf den Kontaktabzügen ist erkennbar, dass sie kein Motiv mehrmals fotografieren musste. Ein Schuss reichte. Vivian Maier war auch nicht in erster Linie ein Kindermädchen, dessen fotografisches Talent nie entdeckt worden war. Im Gegenteil: Sie wählte den Job gerade weil sie dadurch unabhängig genug war, um dem Fotografieren nachgehen zu können. Ihre Arbeitgeber sahen zwar, dass sie ständig fotografierte, doch bekamen sie nie Bilder zu Gesicht. Denn ihre Privatsphäre schütze Vivian Maier aufs Äußerste. Sie legte sich sogar für die Abholzettel in Fotohäusern Pseudonyme zu. Gleichzeitig nahm sie jedoch sehr intime Bilder von Fremden auf der Straße auf. Wie passt das zusammen?
Vivian Maier (01.02.1926, New York -21.04.2009, Chicago) war die Tochter einer Französin und eines Österreichers. Sie lebte in einer Zeit, in der sich eine neue visuelle Kultur entwickelte -- mit New York als dem Zentrum der amerikanischen Fotokultur. Zeitschriften wurden illustriert, bewegte Bilder wurden in den Kinos und Fernsehgeräten gezeigt und die Farbfotografie verbreitete sich. Vivian Maier lebte und arbeitete in New York als Kindermädchen in wohlhabenden Familien. In ihrer Freizeit wanderte sie unablässig durch ihre Stadt und dokumentierte mit ihren Kameras das Leben auf der Straße. Besonders die heruntergekommenen Viertel zogen sie an und sie scheute sich nicht davor, die ihr anvertrauten Kinder mit auf ihre Streifzüge zu nehmen.
Vivian Maier hatte nicht nur einen Hang zum Ansammeln von Film- und Fotomaterial, sie sammelte alles, was sich sammeln lässt: Bücher, Postkarten, Autogramme, Baseballkarten, Modeschmuck, Buttons, Briefmarken, Feuerzeuge, Schuhlöffel, Flaschenöffner und Zeitungen. Je älter sie wurde, umso schwieriger wurde es, ihre Besitztümer in den Häusern ihrer Arbeitgeber unterzubringen. Sie fing an, Lagerräume zu mieten und die horrenden Mietzahlungen brachten sie in finanzielle Not. Und obwohl durch ihren Sammelzwang viele persönliche Dinge erhalten sind, ist der Mensch Vivian Maier schwer zu begreifen.
So ist zum Beispiel immer noch unbekannt, warum sie 1956 nach Chicago umzog, wo sie bis in die 90er-Jahre lebte. In den 80er-Jahren fertigte Vivian Maier fast keine Fotografien mehr an und 1994 hörte sie vollständig mit dem Fotografieren auf. Je älter sie wurde, umso schwerer fand sie Arbeitgeber. Flüchtige Bekannte (wie Angestellte in dem Kino, das sie häufig besuchte) berichten heute davon, dass sie ihren Lebensabend in einem sehr ärmlichen Zustand verbrachte.
Durch Zufall habe ich die Ausstellung ihrer Fotografien im MAN_Museo d'Arte Provincia di Nuoro besucht - fünf Jahre nach der ersten Ausstellung ihrer Werke. Mich überraschten ihre bemerkenswert intimen Portraits und mich faszinierten die ausgestellten Kameras, die Vivian Maier benutzte. Einfache Kameras, mit welchen Vivian Maier perfekt scharf gestochene Bilder anfertigte. Bilder vom Gegensatz zwischen glitzernder High Society und dem Dreck und Elend auf den Straßen der amerikanischen Großstädte. Strenge Selbstporträts in spiegelnden Oberflächen. Oder auch nur in Form des Schattens ihrer riesigen Schultern und ihres bedrohlich darüber schwebenden Huts. Diese Kameras waren für die extrem zurückgezogen lebende Vivian Maier ein Auge und Verbindungsstück zur Welt.

Die Brownie Box- Kamera benutzte Vivian Maier, als sie sich wegen des Erbes ihrer Mutter 1949 in Frankreich aufhielt. Sie fertigte tausende Bilder von Landschaften und Menschen an, welchen sie bei Wanderungen und Ausflügen begegnete. Die Kamera besteht aus Pappe.

Ab 1952 benutze Vivian Maier eine deutsche Rolleiflex. Die Kamera war wegen ihrer Genauigkeit, Zuverlässigkeit und einfachen Handhabung vor allem bei anspruchsvollen Amateur-Fotografen beliebt. Die Rolleiflex sollte ihre Lieblingskamera werden -- sie nutze sie 25 Jahre lang. Beim Fotografieren blickt man von oben in den Sucher, der das Motiv auf einer Mattscheibe abbildet. Dadurch muss der Fotograf keinen direkten Blickkontakt mit seinem Modell aufnehmen. Perfekt für unauffällig und schnell angefertigte Portraits.

Ab 1973 fertigte Vivan Maier fast ausschließlich nur noch Farbfotografien mit Kleinbildkameras (hier: Leica II) an. Zu dieser Zeit verbreiteten sich Farbaufnahmen zusehends und wurden in ihrer Anfertigung billiger.
Links und Informationen:
leider habe ich keine Genehmigung zur Abbildung der Fotos von Vivian Maier erhalten. Hier kannst du sie dir ansehen.
wenn dich die Rolleiflex begeistert, empfehle ich den Laden von Herrn Wiener in München. Er verkauft und repariert alte Kameras. Gerhard Wiener, Landwehrstraße 12, 80336 München, Tel 089/595 072.
soweit nicht anders angegeben alle Fotografien © Patricia Breu
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