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HERMANN HESSE: Tropenanzug

  • derblogderdinge
  • 17. Feb. 2017
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 27. Mai 2021


Hermann Hesses Tropenanzug im Hermann Hesse Museum, Montagnola

Besuch des Hermann Hesse Museums in Montagnola, 2014. Einer der Schaukästen stellt den Tropenanzug Hermann Hesses aus. Er sieht recht ungetragen aus, der Stoff ist jedoch altersbedingt angegilbt und fleckig. Ein antiquiertes Stück Kleidung, das heute keine Reisenden mehr benutzen würden. Trotzdem fasziniert es mich. Warum hat Hesse ihn vor über 100 Jahren getragen? Und welche Bedeutung hatte der Tropenanzug für ihn? Um das herauszufinden, habe ich mir die Reiseaufzeichnungen von Hesses Reise in die Tropen genauer angesehen.

Am 4. September 1911 brach Hermann Hesse gemeinsam mit seinem Freund, dem Maler Hans Sturzenegger, auf zur sogenannten Indien-Reise. Diese Bezeichnung ist etwas irreleitend, da die beiden den indischen Subkontinent eigentlich nicht betraten. Dies war zwar zunächst geplant, wurde aber wegen Geldmangel und schlechter Gesundheit nicht durchgeführt. In dieser Karte habe ich die Route eingezeichnet, die von Genua aus mit dem Schiff nach Ceylon, Malaysia, Singapur und Sumatra ging. Hesses Interesse für Indien rührte in seiner Familiengeschichte: Seine Eltern und Großeltern waren Missionare gewesen, die sich viele Jahre in Indien aufhielten und Liebhaber der indischen Kultur waren.[2]

Meer / Zitat Hermann Hesse Indien-Reise

Freitag, 10. November. "Wieder fast nur Meer. Wer unfroh und müde ist, für den ist langes Seereisen schwer. Wann lerne ich Geduld, wann finde ich Ruhe und Genügen?" [1, S. 177]





Aus Hesses Aufzeichnungen geht hervor, dass die Reise sehr beschwerlich war. Er hatte mit dem ungewohnten Klima, Erkrankungen und Schlaflosigkeit zu kämpfen. Ich war überrascht von den häufigen Tagebuch-Einträgen über die Einnahme von Schlafmitteln. Außerdem waren Schiffsreisen natürlich langwierig und unbequem. Allein die Fahrt von Genua nach Colombo, dem ersten Stopp, dauerte 17 Tage. Zum Vergleich: Die gesamte Reise hatte eine Dauer von gut 101 Tagen.

Hesse erwähnt viele Empfindungen und Überlegungen, die ich von meinen eigenen Reisen kenne, obwohl ich die Vorzüge des modernen Reisens genießen darf: Es macht sich Unzufriedenheit breit und ein Gefühl der Sinnlosigkeit, wenn man sich die Reise als erhellende Zeit mit aneinandergereihten Glücksgefühlen vorgestellt hat -- man dann feststellen muss, dass auch Reisen einen Alltag haben mit guten und schlechten Stunden.

Hermann Hesse / Zitat Schiff

"Ist das nicht im Grunde scheußlich,

immer wieder solche Reihen von Tagen auf Schiffen zu liegen

und ins Meer zu spucken neben müden und schlaffen Menschen, ​

zwischen fremden Küsten, immer rund um den Erdball,

der einem schließlich klein und wertlos werden muß."

[1, S. 18]



Was mich auf den ersten Blick ebenfalls überrascht hat, sind Aussagen, die aus heutiger Sicht eurozentristisch, kolonialistisch und rassistisch gefärbt wirken. Ich bin z.B. über diese Zeilen in der Beschreibung eines Spaziergangs durch Kandy gestolpert:

Palmen / Zitat Hermann Hesse Indien-Reise

"Ein atavistisches Behagen und Heimatgefühl, das ich zu meiner Enttäuschung der typisch-tropischen Landschaft nie empfunden habe, empfand ich doch jedesmal beim Anblick unbekümmert primitiven Naturmenschentums; das gedeiht und vegetiert hier in Indien noch weit schöner und ernsthafter als etwa in Italien, wo wir sonst die Unschuld des Südens suchen." [1, S. 101]


Man sollte diese Aussagen aber wohl im Kontext der Zeit lesen -- an einigen Stellen reflektiert Hesse das Benehmen der weißen Herren in den Kolonien als unmenschlich und für ihn unerträglich: "Immer wieder verwundert und verletzt mich die Selbstverständlichkeit, mit der auch nette und redliche Weiße die natives als Unterworfene und weit niedrigere Wesen ansehen." [1, S. 156]


Britische Tropenhelme, Süd-Ägypten
Britische Tropenhelme (entdeckt in Süd-Ägypten)

Doch nun zum Kern meines Artikels: dem Tropenanzug. Erfreulicherweise gibt es einen Eintrag, der den Kauf des Anzugs genau festhält. Am 27. September 1911 erwarb Hesse ihn in Georgetown auf der Insel Penang (Malaysia).[1, S. 121] Und es gibt einen Tagebuch-Eintrag, der den wahrscheinlich letzten Tag festhält, an dem Hesse den Anzug trug: Am 5. Dezember 1911 notiert er auf dem Schiff, das Richtung Heimat fährt: "Heute wird es wohl der letzte Tag im Tropenanzug sein, der Morgen war schon kühl." [1, S. 191]

Woher kommt diese Form der Bekleidung? Um sich gegen Sonneneinstrahlung zu schützen, wurde der weiße Tropenhelm erstmals von britischen Kolonialtruppen Mitte des 19. Jahrhunderts getragen.[3] Dieser ursprünglich praktische Nutzen der hellen Bekleidung hat den Nebeneffekt, dass er seine Träger:innen von den Einheimischen unterscheidet -- und diese unmissverständlich höherrangig stellt. Hermann Hesse notiert: "Als weißer Fremdling im Tropenhut war ich der Herr, der Master und Sahib, vor dem er als armer Eigeborener sich neigte." [2, S. 93]

Straßenszene auf Ceylon (Sri Lanka), 1907, Wilhelm Kuhnert
Eine zeitgenössische Darstellung von Sri Lanka: Straßenszene auf Ceylon (Sri Lanka), 1907, Wilhelm Kuhnert

Nach der Lektüre von Hesses Reiseaufzeichnungen wurde der Anzug für mich zum Symbol für seine Suche nach einem Sinn, den er auf seiner Reise schlussendlich nicht finden konnte. Dieses Thema der Sinnsuche ist Kern von Hesses Leben und Schreiben.[4] Hesse notierte viele Jahre später:


Hermann Hesse / Aus Indien Buchcover und Fotografie

"Aber als ich vor elf Jahren eine Reise nach Indien machte,

da sah ich wohl die Palmen und Tempel stehen,

roch den Weihrauch und das Sandelholz,

aß die herben Mango und die zarten Bananen;

aber zwischen alledem und mir war noch ein Schleier,

und mitten in Kandy unter den Buddhapriestern hatte ich nach dem wahren Indien, nach Indiens Geist, nach einer lebendigen Berührung mit ihm das ungestillte Heimweh wie vorher in Europa."

[1, S. 241]



Weitere Fotografien aus dem Tessin:


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